Wissenschaft in der Verantwortung
Neuruppin, 25.10.2017
Andreas Winkelmann, Professor für Anatomie an der MHB, forscht zur Geschichte der Anatomie im Dritten Reich. In einem aktuellen Vortrag an der Charité widmete er sich dem Berliner Anatom Hermann Stieve (1886-1952) und seiner Kollaboration mit der Nazi-Justiz.
„Die systematische Erforschung der Geschichte der Anatomie im Dritten Reich hat gezeigt, dass fast alle damaligen Anatomen für ihre Lehre und Forschung die Körper von Opfern des Nationalsozialismus verwendet haben und dafür mit der NS-Justiz kollaborierten. Damit halfen sie auch, den Opfern ein Grab zu verwehren“, erläutert Andreas Winkelmann, Professor für Anatomie an der Medizinischen Hochschule Brandenburg (MHB), den Hintergrund seines Vortrags zur Geschichte der Anatomie im Dritten Reich. „Zu den wesentlichen Aspekten dieser Geschichte gehört, dass Anatomen für ihre mikroskopischen Untersuchungen Gewebe möglichst "lebensnah", also möglichst kurz nach dem Tod, entnehmen wollten. So wurde auf makabre Weise das Profitieren von Hinrichtungen zu einem Qualitätsmerkmal histologischer Forschung, auf das in Publikationen auch ganz offen hingewiesen wurde. Am Beispiel des Berliner Anatomen Hermann Stieve kann ich zeigen, dass dieser historische Fall Auswirkungen auf die aktuelle Entwicklung ethischer Richtlinien in der modernen Anatomie hat“, ergänzt Winkelmann, der von 2001 bis 2015 selbst an der Berliner Charité als Anatom tätig war.
Mit seinem Vortrag zum Thema „Der Berliner Anatom Hermann Stieve (1886-1952) und seine Forschung an den Opfern der Nazi-Justiz“ kehrte Winkelmann im Rahmen des Projektes „GeDenkOrt.Charité“ an seine frühere Wirkungsstätte zurück.
Forschungsschwerpunkte von Prof. Winkelmann sind u.a. der historische und heutige Umgang mit „Human Remains“, die Ethik der Verwendung menschlicher Körper in anatomischer Lehre und Forschung sowie die Geschichte der Anatomie. Er leitet das Institut für Anatomie an der MHB und ist Vorsitzender des Federative International Committee for Ethics and Medical Humanities der internationalen Anatomenvereinigung IFAA.
Über die Initiative „GeDenkOrt.Charité – Wissenschaft in der Verantwortung“
Die Initiative „GeDenkOrt.Charité – Wissenschaft in Verantwortung“ befasst sich mit Medizin und Wissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert, erörtert aber auch Wissenschaftsfragen der Gegenwart und künftige Perspektiven.
„In Deutschland und insbesondere in Berlin sind der deutschen Vergangenheit zahlreiche Denkmäler gewidmet. Mit Blick auf die Wissenschaft während der Zeit des Nationalsozialismus haben sich aber bisher nur einzelne Institutionen (z. B. Max Plank Gesellschaft, Robert Koch Institut) ihrer Vergangenheit gestellt und diese systematisch aufgearbeitet. An der Charité existiert bislang kein sichtbarer, zentraler Ort des Gedenkens und trotz einiger Ansätze blieb bislang auch die historisch-wissenschaftliche Aufarbeitung der NS-Zeit Stückwerk. Vor diesem Hintergrund ist das Projekt „GeDenkOrt.Charité“ dringlich und soll eine lang bestehende Lücke in der Erinnerungskultur schließen, die so wichtig ist für die gegenwärtige und zukünftige Identität dieser traditionsreichen Institution“, heißt es auf der Projekt-Webseite zum Gründungsimpuls, wo auch weitere Informationen zu finden sind.
