Schutz vor Virus
Neuruppin, 05. März 2021
Stefanie Oess ist Professorin für Biochemie und erklärt in einer Online-Vorlesung, wie ein Corona-Impfstoff entsteht. Mehr als 250 Teilnehmer*innen nehmen teil.
Ein Gastbeitrag von André Wirsing, MAZ
Das Praktische gleich vorweg: Die Einnahme des Analgetikums Paracetamol lindert die Begleiterscheinungen beim Impfen mit dem Corona-Serum von AstraZeneca. „Paracetamol reduziert die Impfreaktionen und ist ungefährlich“, sagt die Biochemikerin Stefanie Oess von der Medizinischen Hochschule Brandenburg (MHB). Zu ihrer Online-Vorlesung am Donnerstagabend hatten sich 235 Teilnehmer eingewählt, aber tatsächlich waren es mehr, weil viele sich auch in kleinen Gruppen vor den Bildschirmen versammelt hatten. Darunter waren Studierende und auch interessierte Laien. Der Titel lautete etwas sperrig „Biochemie Update Corona Impfstoffe“, aber enthielt genügend Reizwörter, um Interesse zu erzeugen.
Zum Annähern an das Thema Vakzine erläutert sie, wie das Sars-CoV-2-Virus aufgebaut ist, dass es ein großes Genom ist, das aus 30.000 Nucleotiden, also Bausteinen aus Basen, Zucker und Phosphat, besteht und nur einen Einzelstrang Ribonukleinsäure (RNA) besitzt. Die Erbinformation von Menschen, Tieren, Pflanzen hingegen liegt in der DNA, also immer Doppelstrang-Basenpaarungen. Der Fluss der genetischen Information verläuft nur in eine Richtung: von der DNA zu den verschiedenen RNA, zu den Proteinen, die aus Aminosäuren bestehen. Das sollten Skeptiker wissen, die fürchten, mit der Corona-Impfung könnte die menschliche DNA geschädigt oder verändert werden. Die DNA liegt zudem im Zellkern, die Prozesse der Infektion spielen sich beispielsweise im Zellplasma ab. Das Virus dringt in die Zelle ein, kopiert dort seine Informationen und bildet neue Viren, die auch die Zelle wieder verlassen können.
„Eingebaut“ sind im Menschen bereits natürliche Schutzfunktionen: Das sind antigenpräsentierende Zellen, die Erreger erkennen, T-Helfer-Zellen und B-Lymphozyten bilden Antikörper und die zytotoxischen T-Zellen zerstören infizierte Zellen. „Das sind die Reaktionen, die wir beim Impfen auch auslösen wollen“, erläutert Stefanie Oess. Ehrlich gibt die Wissenschaftlerin zu, dass man sich zwar im Kollegenkreis sicher sei, dass die Virus-Mutanten aus Großbritannien, Südafrika und Brasilien sich durchsetzen werden, man könne sich auf molekularer Ebene aber noch nicht erklären, warum sie erfolgreicher sind. Das werde sich in wenigen Wochen aber ändern – bei dem derzeitigen rasanten Forschungstempo.
Das gibt es auch bei den Impfstoffen. Fast alle Hersteller haben sich auf das Spike-Protein konzentriert – das sind die „Antennen“, die aus den Virus-Modellen herausragen. Das kannten sie nämlich bereits vom Sars-CoV-1-Virus, das Anfang der Nuller-Jahre aufgetreten war.
Nun gibt es verschiedene Plattformen, auf deren Basis Impfstoffe entwickelt werden.
- Abgeschwächte und inaktivierte Sars-CoV-2-Viren werden durch Mutationen abgeschwächt oder durch chemische Behandlung oder Hitze inaktiviert. Das ist langwierig, die Impfstoffe gibt es noch nicht, „weil genau geschaut werden muss, dass sie nicht doch noch aktiv sind“. Indische und chinesische Forscher entwickeln gerade solche Seren.
- Virale Vektoren sind gentechnisch veränderte, abgeschwächte Viren, die das Gen für das Spike-Protein tragen. Johnson & Johnson sowie AstraZeneca haben diese Vakzine entwickelt.
- Virus-Proteine oder Partikel werden aus Sars-CoV-2 gewonnen, meist das Spike-Protein als lösliches Protein oder virusartige Partikel.
- DNA- und mRNA-Impfstoffe. Dabei wird die Geninformation fürs Spike-Protein als Lipidnanopartikel verpackt, in der Zelle lösen sie eine Biosynthese aus (Genexpression). „Es wird der Zelle selbst überlassen, das Protein herzustellen.“ Hersteller sind Biontech/Pfizer sowie Moderna.
Die Biochemikerin bricht eine Lanze für den viel diskutierten und manchmal verschmähten Impfstoff von AstraZeneca. „Er basiert auf Nukleinsäure, besteht aus einem gentechnologisch veränderten Virus, und er ist keineswegs den mRNA-Impfstoffen unterlegen.“ Er schütze zu 100 Prozent vor schweren Verläufen und auch vor der britischen Mutante B1.1.7. In Schottland habe man in großflächigen Studien mit Millionen Menschen nachgewiesen, dass bereits die erste Dosis zu 94 Prozent vor Krankenhausaufenthalten schütze. Bei Biontech seien es „nur“ 85 Prozent.
Stefanie Oess stellt sich auch den Fragen der Zuhörer. Ob die Lipidnanopartikel bei den mRNA-Impfstoffen wirklich ungefährlich sind? „Diese Partikel als Träger der mRNA werden seit 20 Jahren bei der Tumorvakzinierung eingesetzt. Sie haben alle Sicherheitsstudien durchlaufen.“ Es sei eigentlich auch egal, ob DNA oder mRNA mit dem Impfstoff in den Körper gebracht wird, es gehe nur darum, die genetische Information zu verteilen, dann wirken die körpereigenen Mechanismen.
Impfreaktionen seien ein gutes Zeichen. „Das beweist doch, der Körper beschäftigt sich damit, nach ersten Erkenntnissen wird dadurch auch die Bindung der Antikörper stärker. Es ist aber keine kleine Covid-Infektion – wie es früher mal vergleichbar mit der Pockenimpfung ausgelöst wurde – sondern ein Aktivieren des Immunsystems.“
Der Online-Vortrag von Prof. Stefanie Oess ist hier zu sehen. (Schnitt und Nachbearbeitung: Medizinstudierende für Prävention und Solidarität Brandenburg sowie Tanja Petry)