MHB begleitet Projekt der therapeutisch-rehabilitativen Pflege
21. April 2023
Es ist der Traum vieler älterer Menschen: Trotz gesundheitlicher Einschränkungen wieder aktiver und eigenständiger zu werden. Die Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane (MHB) begleitet seit Anfang dieses Monats für vier Jahre an zwölf stationären Einrichtungen der Altenhilfe das Projekt „SGB Reha“, therapeutische Pflege mit rehabilitativen Anteilen, dessen Ziel eine verbesserte Versorgung und damit mehr Lebensqualität für ältere Menschen ist.
Zwei Einrichtungen der Evangelischen Altenhilfe Mülheim an der Ruhr gGmbH setzen diesen Ansatz bereits erfolgreich um. Nun wird das Konzept unter Federführung der AOK Rheinland/Hamburg ausgeweitet. Im April startete das vom Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) geförderte Projekt „SGB Reha“. Die Abkürzung steht für „Sektorenübergreifende gerontopsychiatrische Behandlung und Rehabilitation in Pflegeheimen“. Perspektivisch sollen dadurch Impulse für eine Neuordnung der Schnittstelle zwischen Gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und Pflegeversicherung gesetzt und die therapeutisch-rehabilitative Pflege als neuer Behandlungsstandard etabliert werden.
Unter Federführung der AOK Rheinland/Hamburg und unter wissenschaftlicher Begleitung durch die Universität Potsdam und die MHB begleiten die DGGPP (Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie) e.V. und die Evangelische Altenhilfe die Implementierung des neuen Konzepts.
„Das Fazit der beiden Häuser der Evangelischen Altenhilfe Mülheim an der Ruhr gGmbH, die das Konzept entwickelt und bereits erfolgreich umgesetzt haben, ist durchweg positiv. Dank individueller Therapien und Behandlungen unter multiprofessioneller Aufsicht und Abstimmung sind einige Bewohner*innen sogar so mobil und eigenständig geworden, dass sie aus dem Pflegeheim in das eigene Zuhause zurückkehren konnten. Das ist ein toller Erfolg, den wir nun mit unserer wissenschaftlichen Begleitung genauer analysieren und auf andere Standorte übertragen möchten“, erklärt Prof. Christine Holmberg, Leiterin des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie (ISE) der Medizinischen Hochschule Brandenburg (MHB), das dafür ein entsprechendes Wirkmodell entwickelt hat. Mit dessen Hilfe wurde gemeinsam mit der Universität Potsdam eine Evaluationsstudie realisiert. In der Implementierungs- und Evaluationsphase in den beteiligten Einrichtungen wird das ISE während Beobachtungswochen und durch Interviews mit Bewohner*innen, Angehörigen und Mitarbeiter*innen die Umsetzung des Konzepts analysieren und bewerten. Das Institut für Biometrie und Registerforschung unter der Leitung von Prof. Michael Hauptmann an der MHB führt zudem die statistische Analyse des angestrebten tatsächlichen Mehrwerts für die Bewohner*innen, Angehörige und Mitarbeitende durch. Außerdem nimmt es die gesundheitsökonomische Auswertung der Intervention vor.
„Ziel ist es, hinderliche und förderliche Implementierungsfaktoren zu benennen und die Perspektiven sowie Erfahrungen der Teilnehmenden zu erfassen. Damit soll ein umfassenderer Einblick in die Wirkung des Konzepts auf die Zielgruppe gewonnen werden“, so Prof. Holmberg weiter.
Das Ziel: Fähigkeiten von Pflegebedürftigen aktivieren
„Pflegebedürftigen ein weitgehend selbstständiges Leben zu ermöglichen, ist ein Ziel, das jede Unterstützung verdient. In unserem gegenwärtigen System verschenken wir bestehende Potenziale: Eine individuelle Versorgungsplanung, die einen Fokus auf die Rehabilitation und Wiederherstellung verlorener Fähigkeiten legt, wäre ein echter Richtungswechsel. Sie ermöglicht den Bewohnerinnen und Bewohnern oft sogar den Weg von der Pflegeeinrichtung zurück ins eigene Zuhause“, sagt Matthias Mohrmann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg. Die Erfahrungen in Mülheim legten nahe, so Mohrmann, dass sich die Gesellschaft eine patientenorientiertere und bessere Pflege nicht nur leisten könne, sondern dass sowohl Pflegebedürftige als auch die Volkswirtschaft davon sogar profitieren. „Dafür müssen die Grenzen zwischen Kranken- und Pflegeversicherung abgebaut werden. Es ist sinnvoll, Therapie- und Rehabilitationsleistungen in die soziale Pflegeversicherung zu integrieren.“
Pflegeberufe werden attraktiver, Behandlungskosten sinken
Das Konzept trägt dazu bei, die Alltagsfertigkeiten und die Lebensqualität der Patient*innen zu steigern und bestehende Rehabilitationspotenziale besser zu nutzen, denn diese kommen im stressigen Pflegealltag oftmals zu kurz. Projektinhalte von „SGB Reha“ zielen darauf ab, die Arzneimittelgabe und die Zahl der Krankenhausaufenthalte zu reduzieren und die Behandlungskosten zu senken. Zudem verbessert sich das gesellschaftliche Bild des Pflegeheims. Damit einher geht eine höhere Wertschätzung von pflegebedürftigen Menschen und Pflegekräften. Langfristiger Effekt: Pflegeberufe werden attraktiver.
Zu dem Erfolgsgeheimnis der therapeutischen Pflege mit rehabilitativen Anteilen zählt, dass verschiedene Professionen aus Therapie, Medizin, Pflege, Betreuung und Pharmazie Hand in Hand arbeiten. Nach dem Einzug in die Einrichtung analysiert das multiprofessionelle Team die individuelle Situation der Patient*innen. So entsteht ein umfassendes Bild der Anamnese. Auf dieser Basis können therapeutische Interventionen und weitere Maßnahmen wie eine Reduktion der Medikamente genau definiert werden.
Dazu sagt Oskar Dierbach, langjähriger geschäftsführender Pflegedienstleiter der Ev. Altenhilfe Mülheim gGmbH: „Wenn wir den großen Schatz an therapeutischem Fachwissen in kleinen Einheiten in den Lebens- und Pflegealltag einer Langzeitpflege integrieren und Pflegekräfte Teil des therapeutischen Handelns werden, ist rehabilitative Pflege beim Menschen angekommen. Dann wird die Frage, was jemand morgen wieder können möchte, handlungsleitend.“ Eine Abkehr von der Defizitorientierung in unserem Pflegesystem und stattdessen eine Einbeziehung aller Professionen und Akteure einschließlich des pflegebedürftigen Menschen in einen rehabilitativ ausgerichteten Pflegeprozess führten, so Dierbach, zu neuem Lebensmut beim Betroffenen, zu höherer Mitarbeiterzufriedenheit und zu verbesserter Wirtschaftlichkeit.