Interview
Versorgungsforschung: Brücke zwischen Theorie und Praxis

Neuruppin, 26. Mai 2025
Maximilian Würz ist einer der ersten Studierenden und Absolventen des Master-Studiengangs Versorgungsgforschung an der MHB. Im Interview berichtet der 39-Jährige, der beruflich in der Krankenhaus- und Versorgungsplanung beratend tätig ist, was das Studium für ihn besonders macht.
Herr Würz, Sie haben an der MHB Versorgungsforschung studiert. Was hat Sie an diesem Studiengang besonders gereizt?
Maximilian Würz: An dem Studiengang der Versorgungsforschung an der MHB hat mich besonders gereizt, dass er eine Brücke zwischen Theorie und Praxis schlägt. Ich wollte verstehen, wie die Gesundheitsversorgung in Deutschland funktioniert – insbesondere auf systemischer Ebene. Die Versorgungsforschung bietet dafür eine optimale wissenschaftliche Perspektive: Sie untersucht mithilfe wissenschaftlicher Methoden den medizinischen Alltag, die Organisation und die Steuerung der Gesundheitsversorgung und entwickelt auf Basis der Erkenntnisse Verbesserungsvorschläge für eine patient*innenzentrierte Versorgung. Die Möglichkeit, an der MHB, wissenschaftlich zu arbeiten und damit gleichzeitig einen Beitrag zur Verbesserung der realen medizinischen Versorgung leisten zu können, hat mich sofort sehr angesprochen.
Gab es auch Überraschungen?
Eine der größten Überraschungen war, wie interdisziplinär und vielfältig das Feld der Versorgungsforschung und das Studium an der MHB tatsächlich ist. Man lernt nicht nur medizinische Grundlagen kennen, sondern auch viel über Epidemiologie, Gesundheitsökonomie, Statistik, wissenschaftliches Arbeiten, Ethik und politische Zusammenhänge im Gesundheitswesen. Diese Breite war spannend, aber anfangs auch herausfordernd – besonders, weil man oft zwischen verschiedenen Denkweisen und Perspektiven wechseln musste. Eine weitere positive Herausforderung an der MHB war sicher, dass es sich um einen sehr jungen Studiengang handelt. Das bringt viel Gestaltungsspielraum mit sich: Ich konnte den Studiengang mitgestalten, Feedback geben und in gewisser Weise Pionierarbeit für den Studiengang Versorgungsforschung an der MHB leisten – was im Rückblick eine sehr wertvolle Erfahrung war.
Die Gesundheitsversorgung in Deutschland steht aus unterschiedlichen Gründen immer wieder vor großen Herausforderungen. Inwiefern kann die Versorgungsforschung Ihrer Meinung nach dazu beitragen, diese Aufgaben zu meistern und die Versorgung für Patient*innen zu verbessern?
Die Versorgungsforschung spielt eine zentrale Rolle dabei, aktuelle und zukünftige Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung zu bewältigen. Sie analysiert, wie medizinische Leistungen und Gesundheitsangebote tatsächlich im Alltag bei Patient*innen ankommen – und zwar jenseits von Leitlinien und Idealbedingungen. Dabei geht es nicht nur um die Wirksamkeit von Therapien, sondern auch um Zugänglichkeit, Qualität, Wirtschaftlichkeit und Gerechtigkeit in der Versorgung unter alltäglichen Bedingungen. Durch die systematische Untersuchung von Versorgungsrealität, Versorgungslücken und regionalen Unterschieden liefert die Versorgungsforschung wichtige Erkenntnisse, die als Grundlagen für politische und praktische Entscheidungen dienen können. Sie macht sichtbar, wo Prozesse verbessert, Ressourcen besser eingesetzt oder Patient*innen stärker einbezogen werden können. Gerade in einem komplexen, sich wandelnden Gesundheitssystem – mit den Herausforderungen u. a. des demografischen Wandels, einem Fachkräftemangel sowie einer zunehmenden Chronifizierung von Krankheiten – braucht es evidenzbasierte und praxisnahe Lösungsansätze. Hier kann die Versorgungsforschung entscheidende Impulse setzen, um die Versorgung langfristig patient*innenorientierter, effizienter und gerechter zu gestalten.

Gibt es ein Projekt oder eine Erkenntnis aus Ihrem Studium, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist und die vielleicht sogar Ihr Bild von der Gesundheitsversorgung verändert hat?
Ein Projekt, das mir besonders in Erinnerung geblieben ist, war meine studentische Forschungsarbeit zum Thema: Intersektorale und -institutionelle Kooperationen im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie/-psychotherapie im Versorgungsgebiet 3 Havelland-Fläming (Brandenburg) vor, während und nach der COVID-19-Pandemie. Dabei wurde untersucht, wie der Zugang zu Versorgungsangeboten sowie eine frühzeitige Intervention insbesondere bei Kindern und Jugendlichen mit komplexem psychiatrischen Behandlungsbedarf ermöglicht werden kann. Mir wurde dabei sehr deutlich, wie oft Schnittstellenprobleme, Kommunikationslücken und unzureichender Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren eine erfolgreiche Aufgabenerledigung erschweren oder gar ganz verhindern. Besonders einprägsam war es für mich zu erkennen, dass viele dieser Schwachstellen nicht auf Grund fehlendem Wissen oder Willen der beteiligten Personen bzw. Institutionen bestehen, sondern auf Grund von strukturellen Hürden im System. Diese Erkenntnis hat mein Bild von der Gesundheitsversorgung stark geprägt: Ich erkenne viel klarer, dass gute Versorgung funktionierende Strukturen, eine gute Zusammenarbeit zwischen Berufsgruppen und vor allem eine konsequente Ausrichtung an den Bedürfnissen der Patient*innen benötigt.
Was würden Sie jemandem raten, der sich für ein Versorgungsforschung-Studium interessiert? Welche Fähigkeiten oder Interessen sollten man mitbringen?
Ich würde jedem und jeder, der sich für ein Studium der Versorgungsforschung interessiert, raten: Bringt Neugier mit – vor allem auf komplexe Zusammenhänge im Gesundheitssystem. Wer nicht nur wissen will, was behandelt wird, sondern wie und warum bestimmte Strukturen im Gesundheitswesen funktionieren (oder eben nicht), ist hier genau richtig. Hilfreich sind auf jeden Fall ein Interesse an wissenschaftlichem Arbeiten, ein gewisses Grundverständnis für Statistik sowie die Bereitschaft, interdisziplinär zu denken – also über den eigenen fachlichen Tellerrand hinauszuschauen. Auch Kommunikationsstärke und ein Gespür für soziale und gesellschaftliche Fragen sind wichtig, denn Versorgungsforschung hat immer auch mit Menschen und ihren Lebensrealitäten zu tun. Was mir den Einstieg ins Studium erleichtert hat, war die Offenheit des Studiengangs an der MHB für ganz unterschiedliche Hintergründe. Ich hatte nie das Gefühl, in ein festes Raster passen zu müssen – im Gegenteil: Unterschiedliche Perspektiven wurden aktiv gefördert.
Und welche beruflichen Perspektiven sehen Sie für Absolvent*innen?
Beruflich sehe ich für Absolvent*innen sehr vielfältige Perspektiven. Neben der klassischen Forschung – etwa an Hochschulen oder Instituten – gibt es spannende Möglichkeiten in Ministerien, Krankenkassen, Fachverbänden, Beratungsunternehmen oder auch in der Praxisentwicklung in Kliniken und Gesundheitseinrichtungen. Die Themen werden in den kommenden Jahren eher noch an Bedeutung gewinnen – gerade angesichts des demografischen Wandels, des Fachkräftemangels und der wachsenden Bedeutung von Ökologie, Digitalisierung und Prävention. Versorgungsforschung ist ein Feld mit Zukunft.
Sie haben Interesse am Studiengang Versorgungsforschung an der MHB? Alle Informationen dazu finden Sie hier.