DIPEx Germany
Post-COVID: Betroffene teilen ihre Geschichten für MHB-Projekt

Brandenburg an der Havel, 26. Februar 2025
Während der COVID-19-Pandemie in den Jahren 2020 bis 2023 haben sich in Deutschland rund 39 Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Viele Menschen sind nach der Infektion wieder vollständig genesen, aber etwa 10 Prozent aller Betroffenen leiden laut einer Studie im Anschluss an Long Covid. Unter diesem Begriff werden gesundheitliche Langzeitfolgen nach einer Corona-Infektion zusammengefasst. Diese können auch nach einem milden Verlauf auftreten und bereits während der akuten Erkrankung beginnen. Post-COVID wird oft synonym verwendet, bezieht sich aber speziell auf Beschwerden, die nach 12 Wochen immer noch bestehen oder neu auftreten. Die Symptome sind vielfältig und können den Alltag stark beeinträchtigen.
Betroffene teilen ihre Erfahrungen für andere Betroffene und Versorgende
„Nutzt die Patienten, die Leidensgeschichte mitbringen, als Quelle.“ ¹ Das ist die Botschaft von Stephan Bergmann an Ärzte und Ärztinnen. Er hat, wie 42 andere Betroffene, seine Post-COVID-Geschichte geteilt, sodass diese vom Forschungsprojekt DIPEX Germany am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane (MHB) wissenschaftlich analysiert und für die Webseite krankheitserfahrungen.de aufbereitet werden konnte. DIPEx Germany ist der deutsche Ableger des internationalen Projekts DIPEx International. Ziel des Projekts ist es, Krankheitserfahrungen von Betroffenen öffentlich zur Verfügung zu stellen, um eine Verbesserung des Verständnisses dieser Erfahrungen zum Nutzen von weiteren Betroffenen, Angehörigen, Forschenden, dem Gesundheitssektor, Fachpersonal und politischen Entscheidungsträgern zu erreichen.
Stephan Bergmann (Pseudonym) und andere Interviewpartner*innen haben ihre Geschichten auf krankheitserfahrungen.de geteilt. Seine und alle anderen Beiträge, die auf der Webseite präsentiert werden, sind nach wissenschaftlichen Verfahren und Standards erhoben, analysiert und für die Webseite aufbereitet worden. Sie dienen anderen Betroffenen als Quelle für Trost, Inspiration und zum Vergleich mit anderen Erkrankten. Alle Interviewpartner*innen haben zudem ihre persönlichen Botschaften hinterlassen für andere Betroffene, aber auch für Versorgende.

Zugang zu verlässlichen Informationen für Erkrankte besonders wichtig
Die Interviewpartner*innen unterscheiden sich im Alter, ihrer Wohn- und Lebenssituation und wie sehr die Erkrankungen ihren Alltag verändert haben. Die Herausforderungen, die die Erkrankung mit sich bringt und die Schwierigkeit, gut und richtig versorgt zu werden, ist in vielen Geschichten zu lesen. Aber auch die kleinen Dinge, die Mut machen, können in den Erzählungen gelesen und gehört werden. Die Erfahrungsbereiche „COVID-19“ und „Long-/Post-COVID“ wurden gefördert vom Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit.
Am 20. Februar 2025 wurde das neue Modul mit einem Symposium an der MHB in Brandenburg an der Havel erstmals öffentlich vorgestellt. Dr. Anke Spura aus dem Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) betonte bei der Eröffnung der Veranstaltung, wie wichtig der Zugang zu verlässlichen Informationen und der Austausch für Betroffene sei, hierfür leiste das Projekt einen wertvollen Beitrag.
Dr. Judith Bellmann-Strobl, Oberärztin der Hochschulambulanz für Neuroimmunologie am Experimental and Clinical Research Center, skizzierte in ihrem Vortrag Long-/Post-COVID als chronische, postakut infektiöse Erkrankung mit ungeklärter Ursache. Ihr Fazit: „Wir brauchen dringend vor allem kausal orientierte Therapiestudien und flächendeckende, spezialisierte und vernetzte Angebote.“ Dem pflichtete auch Bianca Erdmann-Reusch, Fachärztin für Innere Medizin, Palliativmedizin und Psychoonkologie, bei. Durch Corona kann auch die bislang wenig erforschte Myalgische Enzephalomyelitis beziehungsweise das Chronische Fatigue-Syndrom ausgelöst werden. Dabei handelt es sich um eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die häufig zu einem hohen Grad der körperlichen Behinderung und somit zu sozialen Hürden führt. „Betroffene kämpfen mit Isolation, finanziellen Risiken und fehlenden Reha-Konzepten. Es braucht individuelle Lotsen – sowohl im Gesundheitssystem als auch im sozialrechtlichen Dschungel.“
„Die Bandbreite der Erfahrungen von Betroffenen – von Wochen bis zu Jahren der Erschöpfung, von Selbsthilfe bis zu medizinischer Unsicherheit – unterstreicht, wie relevant diese Perspektiven für eine ausgewogene Aufklärung sind“, sagte Anne Thier, Koordinatorin von DIPEx Germany. Jede Geschichte von Betroffenen habe sie bewegt und sie danke allen Interviewpartner*innen, die sich an diesem Modul beteiligt haben.
„Erzählungen“, so Institutsleiterin Prof. Dr. Christine Holmberg, „sind immer kontextabhängig und erlauben es, subjektive Sinnherstellungen zu verstehen und damit für die wissenschaftliche Bearbeitung zugänglich zu machen. In jeder Erzählung über Verlust steckt auch Hoffnung – und umgekehrt. Diese Kontraste fordern uns auf, beides anzuerkennen: das Trauma und die Resilienz.“ Die Interviews der Betroffenen beschreiben das Spannungsfeld und das Wechselspiel aus Leid und Selbstermächtigung. Dies anzuerkennen und in die Versorgung einzubeziehen, ist nun Aufgabe der Professionellen, betonte sie.
Im Anschluss an die Vorträge diskutierten die Expert*innen mit dem Publikum über Wege zur verbesserten Versorgung. Dr. Martin Spielhagen vom DiReNa-Gesundheitsnetzwerk Brandenburg verwies auf die DiReNa-Webseite als Ressource für die Menschen in Brandenburg. Auf dieser Webseite werden Informationen zur Diagnostik, Rehabilitation und Nachsorge bereitgestellt. „Nur durch solche Vernetzungen können wir Post-COVID-Betroffene nachhaltig unterstützen“, ist Dr. Spielhagen überzeugt.
Einigkeit herrschte in der Runde darüber, dass Betroffene als Expert*innen ihrer Erkrankung ernst genommen werden müssen – und dass ihre Geschichten nicht nur Aufklärung, sondern auch Empathie und Verständnis schaffen.
Der Erfahrungsbereich kann hier besucht werden: https://www.krankheitserfahrungen.de/module/long-post-COVID.
Wissenschaftlicher Kontakt:
Prof. Dr. Christine Holmberg
Institutsleitung Institut Sozialmedizin und Epidemiologie der MHB
Telefon: +49 3381 41 1281
E-Mail: christine.holmberg@mhb-fontane.de
Zum Hintergrund:
Dr. Anke Spura leitet das Referat Q4 Forschungskoordination, -kooperation und Wissenstransfer am Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG). Sie verantwortet die strategische Vernetzung der Ressortforschung sowie den Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis. Dr. Anke Spura vertritt das BIÖG bei den Ressortforschungseinrichtungen des Bundes und engagiert sich in Forschungsverbünden und wissenschaftlichen Fachgremien, wie z. B. EU Joint Action PreventNCD, „Lessons learned from Covid: Effective health communication in crises and beyond“ (https://www.bioeg.de/forschung/eingeworbene-forschungsprojekte/). Zudem ist sie Mitherausgeberin von Fachpublikationen und leitet gesundheitsbezogene Publikationsreihen.
Dr. med. Judith Bellmann-Strobl ist Oberärztin der Hochschulambulanz für Neuroimmunologie am Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung von Max Delbrück Center und Charité – Universitätsmedizin Berlin. Sie ist Expertin für Multiple Sklerose und andere neuroimmunologische Erkrankungen und leitet die Post COVID Sprechstunde am ECRC. In ihrer Forschungsarbeit zu diesem Krankheitsbild widmet sie sich der Entwicklung medikamentöser Therapien und arbeitet im Rahmen von Versorgungsforschung an der Optimierung von Diagnostik und Behandlung.
Bianca Erdmann-Reusch ist Fachärztin für Innere Medizin, Palliativmedizin und Psychoonkologie. Sie leitet seit vielen Jahren als Chefärztin die Abteilung für Onkologie und Hämatologie der Klinik Bavaria in Kreischa. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in der Behandlung und Rehabilitation von Patient*innen mit onkologischen und hämatologischen Erkrankungen sowie dem Chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CFS) im Rahmen der CFS_CARE-Studie des Institutes für Medizinische Immunologie der Charité Berlin.
Prof. Dr. Christine Holmberg ist Professorin für Sozialmedizin und Epidemiologie an der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane. In ihrer Forschung fokussiert sie die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen und Konsequenzen von Krankheit und Gesundheit, Entscheidungsfindung im Präventionsbereich, Einbezug von Betroffenenerfahrungen, Patientenbeteiligung, sowie die Weiterentwicklung von Mixed-Methods Studiendesigns. Sie hat eine Reihe großer Studien geleitet, die unter anderem vom BMBF (ELSA-Förderung; 01GP1301B) und vom National Cancer Institute, USA, finanziert wurden. Als Leiterin von krankheitserfahrungen.de (DIPEx Germany) etablierte sie mit Kolleg*innen (Dipexinternational.org) eine internationale komparative Studie zu COVID-19 Erfahrungen.
Anne Thier ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie an der Medizinischen Hochschule Brandenburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Optometrie, qualitative Forschungsmethoden und Versorgungsforschung im Bereich Augenheilkunde.
Weitere Informationen zu krankheitserfahrungen.de: Neben COVID-19 finden sich derzeit auf der Webseite www.krankheitserfahrungen.de zehn weitere Erfahrungsbereiche zu „AD(H)S bei Kindern und Jugendlichen“, „Brustkrebs“, „Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen“, „Chronischer Schmerz“, „Darmkrebs“, „Diabetes Typ 2“, „Epilepsie“, „Essstörungen: Anorexie und Bulimie“, „Medizinische Reha“ und „Prostatakrebs“. Die Webseite gehört dem Datenbankprojekt Individueller Patient*innenerfahrungen Deutschland (DIPEx Germany) an, das am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane (MHB) angesiedelt ist und zurzeit von der Krebsallianz gefördert wird.
¹krankheitserfahrungen.de (2025): Zudem wünschte sich Stephan Bergmann, dass die Geschichten der Patient*innen als Wissensquelle genutzt werden. Online verfügbar unter https://www.krankheitserfahrungen.de/module/long-post-COVID/personen/stephan-bergmann/zudem-wuenschte-er-sich-dass-die-geschichten-der-patienten-als-wissensquelle-genutzt-wird, zuletzt aktualisiert am 31.01.2025, zuletzt geprüft am 21.02.2025.
DIPEx: DIPEx Germany ist Mitglied des Dachverbands DIPEx International (www.dipexinternational.org). Dieser Dachverband und seine Mitgliedsorganisationen haben sich zum Ziel gesetzt, das Verständnis der Menschen für Krankheit und Gesundheit zu verbessern. Dazu werden Erfahrungen nach einheitlichen wissenschaftlichen Standards erhoben, analysiert und einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Betroffene und ihre Angehörigen können davon ebenso profitieren, wie Fachkräfte im Gesundheitssektor, politische Entscheidungsträger*innen und Forschende. Durch die internationale Zusammenarbeit entsteht eine einzigartige Erfahrungssammlung, die ländervergleichende Analysen ermöglicht.