Sichtweisen und Vorstellungen der Patient:innen sollen besser berücksichtigt werden
Neues Forschungsprojekt gestartet
Neuruppin, 30. Juni 2023
Medizinische Leitlinien dienen vor allem dazu, Ärzt:innen bei ihren Entscheidungen evidenzbasiert und verlässlich zu unterstützen. Sie sollen jedoch auch die Sichtweisen und Vorstellungen der Patient:innen berücksichtigen. Shared Decision Making (SDM) ist ein Verfahren, das gemeinsame Entscheidungen von Patient:innen und Ärzt:innen unterstützt und fördert. Das gelingt, indem beide gleichberechtigt und aktiv auf Basis derselben Informationen gemeinsam über die Therapie entscheiden. National sowie auch international überwiegt die Einschätzung, dass Leitlinie und SDM einander bedingen sollten. Allerdings weisen erste Untersuchungen darauf hin, dass die Leitlinien in Deutschland in ihrer aktuellen Form nur sehr begrenzt eine gemeinsame Entscheidungsfindung im Sinne von SDM unterstützen.
Das Projekt EDELL (Entwicklung und Testung eines Instruments zum Einbezug von SDM in Leitlinien) startete im Oktober 2022 und wird von Prof. Dr. Dawid Pieper, Leiter des Instituts für Versorgungs- und Gesundheitssystemforschung (IVGF) der Medizinischen Hochschule Brandenburg (MHB) geleitet. Projektpartner sind das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ), Clinical Guideline Services und SHARE TO CARE. Ferner wird das Projekt vom Leitlinienprogramm Onkologie unterstützt und von einem internationalen Projektbeirat flankiert.
Gemeinsame Entscheidungen
Ziel der Kooperationspartner im Projekt EDELL ist es, ein Verfahren zu entwickeln, das bereits bei der Erarbeitung von Leitlinien eingesetzt wird und sicherstellt, dass SDM integraler Bestandteil von Leitlinien wird. Hierzu bereitet die Forschungsgruppe zunächst die internationale Fachliteratur auf und führt Interviews mit Expert:innen. Parallel dazu definieren Forschende in einem Konzept, was Patient:innen besonders wichtig ist, auch dies auf Basis der Literatur und den Gesprächen mit den Fachleuten.
Auf dieser Grundlage erarbeiten sie im Anschluss das SDM-Verfahren. Damit es auch unter Praxisbedingungen einsetzbar ist, wird es in eine bereits vorhandene Datenbank mit Entscheidungshilfen integriert. Am Ende steht der Praxistest: Am Beispiel von zwölf bis 15 Leitlinien sollen das neue Verfahren und die Datenbank unter realen Bedingungen, also während der Erstellung der jeweiligen Leitlinie, getestet und gegebenenfalls angepasst werden.
Dieses Projekt wird für drei Jahre mit insgesamt zirka 672.000 Euro vom Innovationsausschuss gefördert. Diesem Gremium gehören die vier großen Selbstorganisationen aus dem Gesundheitswesen an – der GKV-Spitzenverband, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) – sowie die Bundesministerien für Gesundheit sowie für Bildung und Forschung. Bei Antrags- und Mitberatungsrechten arbeiten zudem Patientenvertreter*innen mit. Ziel des Ausschusses ist es, eine medizinische Versorgung für alle Menschen auf hohem Niveau sicherzustellen, indem das Versorgungsangebot in der gesetzlichen Krankenversicherung kontinuierlich weiterentwickelt wird.
„Im Erfolgsfall werden Verfahren, die die gemeinsame Entscheidungsfindung zwischen Ärzt:innen und Patient:innen unterstützen, fester Bestandteil von medizinischen Leitlinien. Liegen diese im digitalen Format vor, so erlaubt die Verknüpfung mit der Datenbank, relevante Entscheidungshilfen direkt während des Arzt-Patienten-Gesprächs abzurufen“, so Prof. Dawid Pieper.